„Wir wollen nicht ausbaden, was Autobauer verbocken.“
Wie hart treffen Fahrverbote wegen zu hoher Stickoxid-Werte das Handwerk? Müssen die Betriebe ausbaden, was die Autoindustrie verbockt hat? Sind Schulabgänger fit genug für eine Lehre? Dazu Holger Schwannecke, Generalsekretär des Zentralverbands des Deutschen Handwerks im Interview mit der „Neue Osnabrücker Zeitung“.
Fahrverbote wegen zu hoher Stickoxid-Werte träfen die Handwerksbetriebe hart. Wie groß ist die Verunsicherung?
Die Betriebe sind massiv verunsichert. Fahrverbote, wenn sie denn kommen, sind für die mehr als eine Million Handwerksbetriebe existenzgefährdend und deshalb völlig inakzeptabel. Wenn Handwerker nicht zu ihren Kunden kommen und Aufträge erledigen, kommt auch kein Geld rein. Unsere Betriebe erwarten, dass nicht sie ausbaden müssen, was Automobilhersteller verbockt haben. Software-Updates reichen nicht. Die Hersteller müssen sich auch um technische Lösungen kümmern, selbst wenn deren Umsetzung eine Zeit lang braucht.
Was erwarten Sie vom bevorstehenden Auto-Gipfel der Kanzlerin mit den Kommunen?
Auch die Kommunen wollen keine Fahrverbote. Sie wissen, dass die Daseinsvorsorge gefährdet ist, wenn Müllfahrzeuge, Busse und Handwerksfahrzeuge nicht mehr in die Innenstädte fahren können. Klar ist, die Automobilhersteller stehen in der Verantwortung, technische Lösungen zu finden, die Fahrverbote unnötig machen.
Sehen Sie das Gütesiegel „Made in Germany“ durch die Diesel-Affäre ernsthaft gefährdet?
Rund acht Prozent unserer Handwerksbetriebe sind im Export aktiv, Tendenz steigend. Die Software-Manipulationen haben diesem Siegel einen Bärendienst erwiesen. Dass dadurch das Vertrauen in deutsche Produkte insgesamt nicht gestärkt wurde, ist wohl unstrittig.
Stichwort Lehrlingsmangel: Wie ausbildungswillig und wie ausbildungsfähig sind junge Menschen?
Leider ist eine praktische Ausbildung heutzutage nicht das Erste, was Jugendlichen in den Sinn kommt, wenn sie über ihre berufliche Zukunft nachdenken. Wir spüren hier die Folgen der jahrelang verbreiteten Botschaft, dass nur das Abitur eine gute Zukunft garantiert. Das hat sich in den Köpfen festgesetzt. Wir brauchen ein Umparken im Kopf und müssen dort die Gleichwertigkeit beruflicher und akademischer Tätigkeit wieder verankern. Daher ist das Handwerk so stark an einer Berufsorientierung auch in Gymnasien interessiert. Wir wollen dort über die vielfältigen Chancen in über 130 Handwerksberufen sprechen und raten, diese einmal auszuprobieren. Dazu gibt es Infos unter dem Hashtag #einfachmachen.
Und die Ausbildungsfähigkeit?
Aus den Betrieben und Hochschulen hört man, dass das Lern- und Wissensniveau offenbar gesunken ist. Das schließt Abiturienten ein. Ich warne aber dringend vor Pauschalurteilen. Wir haben viele engagierte und gute Nachwuchskräfte.
Wie viel Zeit müssen Betriebe investieren, um Lehrlinge fit für die Ausbildung zu machen?
Unsere Betriebe stellen hier selbst viel auf die Beine. Das geht so weit, dass Nachhilfekräfte eingestellt werden. Mit gutem Erfolg. Aber immer noch läuft die Ausbildung vor allem über die Meister und unsere Berufsbildungsstätten. Bei der Wissensvermittlung müssen wir uns – und das ist eine neue Herausforderung – auf das veränderte mediale Verhalten von Jugendlichen einstellen. Das ist auf Schnelligkeit und Kürze getrimmt. Dem müssen wir Rechnung tragen, um die Aufmerksamkeit der an digitale Information gewöhnten jungen Leute zu gewinnen.
Gewerkschaften beanstanden den Missbrauch von Auszubildenden für Putz- und Hilfsdienste. Was ist da dran?
Nahezu reflexhaft kommt alljährlich diese Klage der Jugendorganisation des Deutschen Gewerkschaftsbundes. Das ist ein Ärgernis. Durch unzulässige Verallgemeinerungen wird die Ausbildung insgesamt schlechtgeredet. Dabei sollten Gewerkschaften und das Handwerk das gemeinsame Interesse haben, berufliche Ausbildung nach vorne zu bringen, statt sie zu diskreditieren. Es ist unredlich, alle über einen Kamm zu scheren und die enorme Ausbildungsleistung unserer Betriebe zu schmälern. Es mag sein, dass nicht alle Betriebe dieselbe Qualität bei der Ausbildung bieten. Aber wir arbeiten mit zahlreichen Programmen und Projekten intensiv daran, dass das so ist. Rund fünfhundert Berater gibt es dafür in unseren Handwerkskammern. Es gibt Angebote für Lehrlinge, Beschwerden loszuwerden. Aber klar ist auch: Jeder Fall, bei dem es nicht gut läuft, ist einer zu viel.
Der Fachkräftemangel führt zu Wartezeiten. Wie lange müssen sich Kunden durchschnittlich gedulden, bis der Handwerker kommt?´
Es läuft sehr gut. Wir haben unsere Umsatzprognose für 2017 auf drei Prozent nach oben gesetzt. Aktuelle Daten bestätigen uns darin. Die Betriebe sind durchschnittlich zehn Wochen mit Aufträgen ausgebucht. Es ist also gut, wenn Kunden langfristig planen. Langjährige Bindungen zwischen Handwerksbetrieben und Kunden zahlen sich derzeit sicher aus.
Gibt es sogar Absagen?
Tatsächlich sind manche Unternehmen bis zum Jahresende ausgelastet. Wir könnten mehr machen, wenn wir mehr Fachkräfte hätten.
Und wie steht es mit Schwarzarbeit? Haben stark ausgelastete Maurer oder Installateure noch Zeit dafür?
Schwarzarbeit floriert leider in guten wie in schlechten Zeiten. Ich kann jedoch nur jeden davor warnen: Was zunächst billiger scheint, kann sich etwa wegen fehlender Gewährleistungen als wesentlich teurer herausstellen. Für die Kontrolle von Schwarzarbeit ist der Zoll zuständig. Als Handwerksorganisation haben wir nicht die Mittel, um sie wirklich einzudämmen.
Das Interview führte Beate Tenfelde, NOZ
Quelle: ZDH