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“Wer will, ist im Handwerk willkommen!”

ZDH-Präsident Otto Kentzler im Interview: Bei den Schulabgängern ist wieder mehr Leistungsbereitschaft spürbar, stellt Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks fest. „Wir merken, dass mehr Jugendliche sich anstrengen, um einen Platz im Berufsleben zu finden“, so Kentzler. Angesichts von mehreren tausend unbesetzt gebliebenen Lehrstellen, lädt er alle Jugendlichen ein, sich über die spannenden und innovativen Berufe im Handwerk zu informieren: „Das Handwerk will das Potenzial erschließen, das wir im Land haben.“

Herr Kentzler, wer heute einen Handwerker bestellt, muss mitunter lange auf einen Termin warten. Ihrer Zunft scheint es ziemlich gut zu gehen, oder?

Kentzler: Mein Grundsatz ist: Wenn sich ein Kunde meldet, dann bekommt er innerhalb von zwei Tagen Antwort. Und wenn das Wetter mitspielt, auch einen Termin. In der Tat ist es jedoch so, dass sich die konjunkturelle Entwicklung in den vergangenen Monaten positiv auf die Lage im Handwerk ausgewirkt hat. Dadurch sind gerade im Ausbaubereich die Betriebe gut ausgelastet. Das sichert Arbeitsplätze, Steuer- und Beitragseinnahmen.

Jetzt stapeln sie aber ziemlich tief.

Kentzler: Das tue ich nicht. Die Lage ist stabil, auch bei Beschäftigung und Ausbildung. Aber wir hängen weniger vom Export, als vielmehr von der Entwicklung der Binnenkonjunktur ab. Für die Hoffnung, dass sich der positive Konjunkturtrend fortsetzt, gibt es gute Gründe. Aber Gewissheit habe ich nicht.

Täuscht der Eindruck, dass die Qualität im Handwerk nachgelassen hat?

Kentzler: Allein wegen Ihrer Frage muss ich mir schon Gedanken machen. Denn Handwerk setzt ja gerade auf Qualität. Insbesondere in der Ausbildung. Doch eins ist richtig: Es sind viele Betriebe in Handwerksbereichen entstanden, in denen man sich auch ohne Ausbildung betätigen kann. Ich kann den Kunden nur raten, auf die Qualifikation des Handwerkers zu achten, ruhig einmal mehr nach dem Gesellen- oder Meisterbrief zu fragen. Die Leistung eines Facharbeiters muss dann auch ihren Preis haben. Nur billig geht selten gut.

Wie wird sich im kommenden Jahr die Ausbildungssituation im Handwerk entwickeln?

Kentzler: Wir haben jetzt schon die Situation, dass wir in den neuen Bundesländern viele tausend Lehrstellen nicht besetzen können. Dort hat sich innerhalb von zehn Jahren die Zahl der jugendlichen Schulabgänger halbiert. In den alten Ländern schlägt dieser Trend erst langsam durch. 2011 haben wir allerdings eine riesige Chance, durch die doppelten Abiturjahrgänge und die Abschaffung der Wehrpflicht auch höher qualifizierte Jugendliche in größerer Zahl für das Handwerk zu gewinnen. Wir müssen den Jugendlichen vermitteln, wie spannend und innovativ das Handwerk ist – und das tun wir derzeit durch eine große Imagekampagne. Unsere Gesundheitsberufe machen es bereits vor: Bei Hörgeräteakustikern oder Augenoptikern liegt der Abiturientenanteil der Lehrlinge schon über 50 Prozent.

Sie haben sich aber oft über die mangelnde Ausbildungsreife vieler Schulabgänger beklagt. Hat sich da was verändert?

Kentzler: Die jüngste Pisa-Studie bestätigt, dass die Ergebnisse der Schüler besser werden. Wir merken auch, dass mehr Jugendliche Bildung und Ausbildung wollen; dass sie sich anstrengen, um einen Platz im Berufsleben zu finden. Wer will, der ist bei uns immer willkommen – auch wenn die Betriebe manche Schwäche ausbügeln müssen. Zum Beispiel durch Nachhilfe. Die Bundesländer müssen noch einiges tun, um das gesetzte Ziel der Halbierung der Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss zu erreichen.

Setzt das Handwerk auch auf Zuwanderung?

Kentzler: Für das Handwerk kommt es vor allem darauf an, das Potenzial zu erschließen, das wir hier im Land haben. Wir werben zum Beispiel verstärkt bei Migranten für eine Ausbildung. Außerdem gebe ich zu bedenken: Im Moment sind wir kein Zuwanderungs-, sondern ein Auswanderungsland. Wenn wir nicht die Voraussetzungen schaffen, dass gute Leute hier bleiben, kann das gefährlich werden für die deutsche Wirtschaft und das Handwerk.

Interview: Hagen Strauß, Saarbrücker Zeitung (27. Dezember 2010)

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