Integration dauert
Vor überzogenen Erwartungen bei der Eingliederung von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt warnt der Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Hans Peter Wollseifer, im RP-Interview (02.08.2016).
Die Konjunktur läuft stabil seit Jahren, die Steuereinnahmen sind hoch. Wie lange nimmt die Wirtschaft es noch hin, dass ihr Steuerentlastungen versagt bleiben?
Wollseifer: Gar nicht. Der Mittelstand, die unteren und mittleren Einkommen, muss in der nächsten Legislaturperiode unbedingt steuerlich entlastet werden. Dafür gibt es die notwendigen Spielräume. Der Spitzensteuersatz darf nicht weiter bereits ab 53.600 Euro zu versteuerndes Einkommen im Jahr greifen, diese Grenze muss deutlich nach oben verschoben werden. Zusätzlich muss die Entlastung bei der kalten Steuerprogression vorangetrieben werden. Außerdem müssen Einzelunternehmer und Personengesellschaften endlich mit Kapitalgesellschaften gleich gestellt werden. Die sogenannte Thesaurierungsrücklage für Einzelunternehmen und Personengesellschaften muss praxisgerecht und mittelstandsfreundlicher ausgestaltet werden.
Diese einbehaltenen Gewinne werden aber doch schon steuerlich begünstigt…
Wollseifer: Für Gewinne, die ein Unternehmer für künftige Investitionen zurücklegt, fällt zunächst – ähnlich wie bei Kapitalgesellschaften – ein Einheitssteuersatz von 28,25 Prozent an. Bei Entnahme kommen aber 25 Prozent Nachversteuerung hinzu, jeweils mit Solidaritätszuschlag. Der Steuersatz liegt daher häufig über dem persönlichen Einkommensteuersatz – und das Instrument lohnt sich nicht. Eine entsprechende Korrektur würde die Substanz im Mittelstand stärken, mehr Investitionen befördern und damit Arbeitsplätze sichern.
Wie dringend ist eine Einigung bei der Reform der Erbschaftsteuer?
Wollseifer: Wir halten den im Bundestag verabschiedeten Kompromiss von Union und SPD für akzeptabel. Wir brauchen jetzt endlich eine Entscheidung, damit unsere Betriebe Rechtssicherheit bekommen. Es ist mehr als bedauerlich, dass Länder wie Nordrhein-Westfalen den Kompromiss im Bundesrat gestoppt haben. Das Handwerk begrüßt insbesondere, dass nach dem Kompromiss Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigten auch künftig keine komplizierten Nachweise erbringen müssen, um beim Übergang auf die nächste Generation von der Erbschaftsteuer verschont zu werden.
Für wie gefährlich hielten Sie einen Renten-Wahlkampf 2017?
Wollseifer: Brandgefährlich. In dieser Legislaturperiode gab es mit der Rente mit 63 und der Mütterrente Eingriffe, die die Rentenversicherung langfristig dreistellige Milliardenbeträge kosten. Die Parteien dürfen sich nicht noch einmal zu teurer Klientelpolitik hinreißen lassen. Zumal die Rentenbezugsdauer steigt und jetzt die Babyboomer ins Rentenalter kommen. Immer weniger Erwerbstätige müssen für einen Rentner aufkommen. Diese Zukunftslasten nur der jüngeren Generation aufzubürden, wäre ungerecht und würde sie auch überfordern. Wir werden länger arbeiten müssen, und der Übergang in die Rente muss flexibler gestaltet werden. Wir müssen wirklich auf das gesetzliche Renteneintrittsalter 67 kommen. Ein Zurückdrehen von Reformen – etwa beim Rentenniveau – darf es nicht geben.
Ist da dann das Ende der Fahnenstange erreicht?
Wollseifer: Momentan ist es müßig, darüber zu reden. Aber wenn die Lebenserwartung weiter steigt und die Menschen fit sind, darf das Renteneintrittsalter in Zukunft kein Tabu sein. In Holland hat man das an die steigende Lebenserwartung gekoppelt. Vielleicht wäre das auch bei uns ein gutes Modell. Wir dürfen jedenfalls die steigenden Rentenausgaben nicht nur über höhere Rentenbeiträge finanzieren. Wenn die jüngere Generation höhere Beiträge zahlt und geringere Renten bekommt, wird das Vertrauen in die Rentenversicherung zerstört. Weitere Elemente einer Rentenreform sollten sein: Betriebsrenten staatlich fördern, die Riester-Rente erhalten, und alle Selbstständigen zur Altersvorsorge verpflichten. Allerdings muss es für sie eine Wahlfreiheit zwischen privater Vorsorge und gesetzlicher Rentenversicherung geben.
Was muss das Handwerk Jüngeren bieten, um künftig noch attraktiv genug zu sein?
Wollseifer: Wir sind schon attraktiv. Obwohl die Zahl der Schulabgänger in den vergangenen zehn Jahren um 150.000 gesunken ist, hat das Handwerk die Zahl der Auszubildenden 2015 sogar leicht auf 138.000 erhöhen können. In diesem Jahr zählen wir bisher auch ein Plus bei den Neuverträgen. Auch am Geld liegt es nicht – zumal manche Handwerksberufe hohe Vergütungen vereinbart haben, im Hochbau zum Beispiel gibt es im dritten Ausbildungsjahr mehr als 1500 Euro. Topmodern sind die Berufe auch – die Digitalisierung ist auf dem Vormarsch, Handwerk 4.0. oft Realität. Wussten Sie, dass der Dombaumeister zu Köln den Bauzustand des Doms längst mit einer Drohne kontrolliert?
Wie geht es mit der Ausbildung der Flüchtlinge voran?
Wollseifer: Ein Viertel unserer Azubis haben Migrationshintergrund oder einen ausländischen Pass. Einige hundert davon sind Flüchtlinge, die aber schon vor vier oder fünf Jahren geflohen sind, etwa aus Afghanistan oder dem Irak. Da haben wir gute Erfahrungen, viele stehen bereits vor der Gesellenprüfung. Was die im Vorjahr gekommenen Flüchtlinge angeht, warne ich vor zu hohen Erwartungen: Eine nachhaltige Arbeitsmarktintegration dauert für die meisten sechs, sieben Jahre. Denn viele Hilfsarbeiterangebote haben wir nicht. Wir haben Bedarf an Fachkräften. Die Flüchtlinge müssen erst die deutsche Sprache erlernen, sie müssen unsere Kultur verstehen und dann einige Monate in eine Berufsvorbereitung gehen. Erst dann kann die Vermittlung in Ausbildungsbetriebe klappen.
Eine Frage zum Schluss: Die Umweltministerin will eine „Blaue Plakette“ einführen und Dieselfahrzeuge aus Innenstädten verbannen. Wie kommentieren Sie das?
Wollseifer: Unsere Unternehmen fahren nun mal mit Nutzfahrzeugen mit Dieselmotor, da gibt es keine Alternative. In dem Moment, wo die Blaue Plakette und blaue Zonen in Innenstädten eingeführt werden, kommen die nicht mehr zu ihren Kunden. Viele Betriebe haben gerade erst neue Fahrzeuge mit der Euro-Norm 5 angeschafft. Diese Vermögenswerte würden vernichtet durch eine Begrenzung des Cityzugangs. Der Nutzen ist überhaupt fraglich – heutige Euro-6-Nutzfahrzeuge bringen kaum Verbesserungen. Wir lehnen die Blaue Plakette daher entschieden ab. Schadstoffreduzierung durch weniger Staus in Nordrhein-Westfalen oder weniger Verschmutzung durch Binnenschiffe, sowie mehr Energieeffizienz in Gebäuden ist vorrangig.
Interview für die Rheinische Post in Düsseldorf: Birgit Marschall