Das „Prinzip Handwerk“ verdient den Zuspruch der Kirchen
Das Handwerk wird 2012 die Tradition der Spitzengespräche von ZDH-Präsidium und den Spitzen von katholischer und evangelischer Kirche wieder aufnehmen. Das kündigt Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), in einem Interview mit evangelisch.de (1.Mai 2012) an. Von den Kirchen wünscht er sich Unterstützung für die Forderung, sich bei der „Definition der sozialen Gerechtigkeit wieder auf ordnungspolitische Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft zu besinnen“.
Kirche und Handwerk sind seit alters her auf einander angewiesen. Die Kirche auf die Leistungen des Handwerks, das Handwerk auf die Aufträge der Kirche. Funktioniert dieses Bündnis auch heute noch?
Kentzler: Natürlich. Auf der Internationalen Handwerksmesse in München im März hat Bundeskanzlerin Merkel einen Stand besucht, der vom hohen Standard der Zusammenarbeit von Handwerk und Kunst bei der Verschönerung der Kirchen kündet. Die Firma DERIX aus Hessen hat die Richter-Fenster im Kölner Dom möglich gemacht, arbeitet mit dem Künstler Markus Lüpertz an Fenstern für St. Andreas in Köln, ist aber darüber hinaus verantwortlich für die Verschönerung von Kirchen und Moscheen in aller Welt. Vergleichbar erfolgreich ist die Glasmalerei Peters in Paderborn. Denken Sie auch an Schreiner, die Beichtstühle herstellen, oder Glockengießer. Und das erstaunliche Gerüstbauwerk in luftiger Höhe am Kölner Dom zeigt mir, dass unser Handwerk wahrlich meisterliche Herausforderungen an Sakralbauten besteht.
Die Kirche kann sich auch auf das Handwerk verlassen, wenn es um Spenden für besondere Anliegen geht. Das gilt weiter?
Kentzler: Das hängt keiner an die große Glocke. Aber wenn Sie Pfarrer und Handwerksunternehmer fragen, dann läuft hier sehr viel auf dem „kleinen Dienstweg“. Schauen Sie doch mal, wie viele Handwerksbetriebe bei der Einweihung ihrer Neubauten den Pfarrer einladen. Sie wollen Gottes Segen für ihre Arbeit und die ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Diese Unternehmen haben umgekehrt auch ein offenes Ohr für die Anliegen der Kirchen.
Nicht nur im ländlichen Bereich sind viele Handwerksmeister bereit, im Presbyterium oder Pfarrgemeinderat und Kirchenvorstand mitzuarbeiten. Bleibt dem Handwerk für ein solches Ehrenamt noch die nötige Zeit?
Kentzler: Handwerk ist stets Teil der Gesellschaft, und dazu zählen auch die Kirchen. Das ehrenamtliche Engagement ist für viele im Handwerk selbstverständlich, ob Meisterin und Meister oder Gesellin und Geselle. Ich selbst engagiere mich seit vielen Jahren neben den Ehrenämtern im Handwerk in der Kommende, dem Sozialinstitut des Erzbistums Paderborn.
Haben Sie den Eindruck, dass die Kirche noch ausreichend Verständnis für die Belange des Handwerks aufbringt, dessen Boden ja keineswegs mehr nur ein sprichwörtlich goldener ist?
Kentzler: Der goldene Boden ist für junge Menschen die Ausbildung im Handwerk. Darauf kann jeder seinen persönlichen Lebenserfolg aufbauen. Handwerker geben ihr Können und ihre Lebenserfahrung traditionell an junge Menschen weiter. Das gehört zu einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Unternehmensführung. Man versucht, dass Vertrauen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ebenso zu gewinnen, wie das der Kunden. Das ist Teil der ausgeprägten Unternehmens- und Führungsethik im Handwerk. Wertschöpfung wird hier durch Wertschätzung betrieben. Für dieses „Prinzip Handwerk“ haben wir noch immer den Zuspruch der Kirchen bekommen. Zuletzt zur Eröffnung der Internationalen Handwerksmesse vom Münchener Erzbischof Kardinal Marx in seiner Rede.
Haben Sie den Eindruck, dass die Kirche das Handwerk ausreichend in seinem Kampf gegen die Aushöhlung seiner Ausbildungsordnungen unterstützt?
Kentzler: Manch einer glaubt, unsere Ausbildung im dualen System sei von gestern. Dabei verdient sie eigentlich den Zukunftspreis. Wir schaffen mit der ganzheitlichen Ausbildung in den Berufen ja überhaupt erst die Möglichkeit, mit Fort- und Weiterbildung „up to date“ zu sein, in Zeiten, wo sich die Berufswirklichkeit schneller verändert als jemals zuvor. Wir bilden nachhaltig aus – wer schnellen Ausbildungsbausteinen das Wort redet, die bestenfalls eine Halbwertzeit von einigen Jahren haben, schafft Ausbildungsnotstand. Das sieht aber die Kirche genau so. Lauschen sie den Predigten im Land, da kommt oft der Handwerker als zeitgemäß gutes Beispiel vor, nicht nur als Figur aus der Bibel.
Seit langem besteht in Ihrem Zentralverband ein Gesprächskreis Kirche und Handwerk. Was sind die Aufgaben dieses Kreises?
Kentzler: Der Gesprächskreis dient zu allererst dem Meinungsaustausch und dem jeweiligen Verständnis. Er versteht sich als Ergänzung zu den vielfältigen weiteren Verbindungen zwischen Kirche und Handwerk. Aus dem Gesprächskreis erwachsen aber auch Impulse für eine gemeinsame Meinungsbildung. Dabei wird die gesamte Bandbreite der sozial- und gesellschaftspolitischen Themen behandelt.
So positionierte sich der Besprechungskreis zuletzt zu konkreten Themen wie etwa zur europäischen Schuldenkrise, zur Bewältigung der Energiewende, zur Reform der Pflegeversicherung und zu den Auswirkungen des demographischen Wandels. 2012 wird auch die Tradition der Spitzengespräche fortgesetzt: Erzbischof Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, und Präses Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD, werden im Laufe des Jahres mit dem ZDH-Präsidium zusammenkommen. Im Übrigen ist es gute Tradition, dass auch Vertreter des ZDH auf den Kirchentagen präsent sind – neben den vielen Handwerkerinnen und Handwerkern in den kirchlichen Laienorganisationen.
Lässt sich das Sprichwort „Lasst die Kirche im Dorf“ um ein „Lasst das Handwerk im Dorf“ ergänzen, um die Zukunft der ländlichen Regionen zu sichern?
Kentzler: Das Handwerk ist in den ländlichen Regionen unverzichtbar für das Angebot von Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Die handwerklichen Betriebe sind darüber hinaus in den Dörfern wichtiger Nahversorger und oft einziger alltäglicher Anlaufpunkt für die Menschen. Und die Handwerksbetriebe stehen für gesellschaftliches Engagement vor Ort in Vereinen und Verbänden, kommunalen, sozialen und eben kirchlichen Institutionen. Wer sollte sie ersetzen können?
Haben Sie als kirchlich engagierter Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks konkrete Wünsche an die Kirche?
Kentzler: Unsere Gesellschaft benötigt die große Vielzahl verantwortungsvoller Personenunternehmer, die ihre soziale Verpflichtung erkennen und entsprechende Verantwortung übernehmen. Es bleibt aber ein bloßes Lippenbekenntnis, wenn von der Kultur der Selbständigkeit gesprochen wird, während die Voraussetzungen dafür, nämlich die Freiheit zum unternehmerischen Handeln immer weiter eingeschränkt wird. Ich werbe dafür, dass wir alle uns bei der Definition der sozialen Gerechtigkeit wieder auf ordnungspolitische Grundsätze der Sozialen Marktwirtschaft besinnen. Und die fußt ja bekanntlich auf der christlichen Soziallehre.
Interview: K. Rüdiger Durth