Handwerk lehnt Betreuungsgeld ab.
Das Handwerk lehnt eine weitere Einmischung in Familienangelegenheiten ab, wie sie das Betreuungsgeld darstellt. In einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dapd (9. April 2012) fordert Handwerkspräsident Otto Kentzler die Bundesregierung auf, ihren Beschluss zu überdenken. Die konjunkturelle Lage schätzt Kentzler positiv ein: „Das Handwerk wird maßgeblich zum Wachstum in Deutschland beitragen.“
Erwarten Sie einen weiteren Wirtschaftsaufschwung in Deutschland?
Kentzler: Das Wachstum im Handwerk hält an. Unsere Betriebe profitieren vor allem davon, dass die Konjunktur am Binnenmarkt stabil ist. Bei den jetzt steigenden Löhnen und Gehältern muss der Staat endlich mit Maßnahmen gegen die kalte Progression dafür sorgen, dass die Arbeitnehmer tatsächlich von den Einkommenssteigerungen profitieren, und nicht nur das Steuersäckel. Ich setze darauf, dass die entsprechende Initiative der Bundesregierung nicht am Bundesrat scheitert.
Ebenso bleiben die Exporte auf hohem Niveau. Das stärkt die industriellen Zulieferer und Dienstleister im Handwerk. Insgesamt wird das Handwerk auch 2012 maßgeblich zum Wachstum der Wirtschaft in Deutschland beitragen, mit einem Plus von 1,5 bis 2 Prozent.
Was bedeutet das für die Situation auf dem Arbeitsmarkt?
Kentzler: Unsere Betriebe suchen in allen Branchen Fachkräfte. Der private Wohnungsbau legt zu, der Wirtschaftsbau bleibt stabil, die Energiewende mit dem Trend zu mehr Energieeffizienz und Erneuerbaren Energien sorgt für Aufträge, die Kfz-Branche wächst wieder, Maschinen- und Automobilbau brauchen die Produkte und Dienstleistungen des Handwerks bis hin zu Forschung und Entwicklung – und überall werden bestens aus- und weitergebildete Fachkräfte gesucht.
Die Handwerksorganisationen passen sich der Nachfrage an – allein im Bereich der an der Energiewende mitarbeitenden 30 Handwerksberufe werden aktuell 200 Fortbildungsangebote gezählt – mit steigender Tendenz. Die Gesellen- und Meisterprüfungsordnungen wurden in den meisten Berufen bereits aktualisiert oder werden derzeit überarbeitet.
Halten Sie eine weitere Erleichterung der Zuwanderung von ausländischen Fachkräften für notwendig?
Kentzler: Das Handwerk wird von weiteren Erleichterungen nur wenig profitieren. Unsere Hauptzielgruppe ist eine andere. In der Regel müssen wir Fachkräfte selbst ausbilden, damit sie dem notwendigen Niveau entsprechen.
Wie bewerten Sie die Lage bei den Lehrstellen – gibt es genügend geeignete Bewerber für das Handwerk?
Kentzler: Es wird wie schon in den Vorjahren schwierig werden, alle angebotenen Lehrstellen zu besetzen. Immerhin: Die Zahl der Schulabgänger wird 2012 im Osten Deutschlands nach mehr als einem Jahrzehnt Rückgang von einem niedrigen Niveau aus wieder leicht steigen, auf eine Entspannung der Lage können wir aber noch nicht hoffen. Insgesamt setzen wir mittelfristig darauf, dass durch verbesserte Angebote zur Berufsorientierung an den Schulen und die gezielte Verbesserung im Unterricht für bisher problematische Schülergruppen die Zahl der ausbildungsreifen Schulabgänger steigt. Denn zur Fachkräftesicherung brauchen wir im Handwerk zukünftig wieder mehr Auszubildende.
Viele Betriebe haben auf die Probleme bei der Besetzung ihrer Lehrstellen reagiert. Der Trend geht auch im Handwerk eindeutig dahin, die Verträge mit Auszubildenden schon Monate vor dem Schulabschluss unter Dach und Fach zu bringen. Und die Lehrstellenangebote werden beworben, etwa auch über die Ausbildungsplatzbörsen der Handwerkskammern, die für Interessenten auf zdh.de zusammengefasst sind. Alles über Handwerksberufe findet man auf handwerk.de: Interessante Filme und den „Berufechecker“, wo man selbst gezielt je nach eigenen Talenten und Interessen suchen kann.
Ich fordere alle Jugendlichen auf, etwa die Osterferien dazu zu nutzen, sich bei Handwerkskammern, Kreishandwerkerschaften oder Innungen über die Ausbildungschancen zu informieren und auch Handwerksbetriebe der Wahl aufzusuchen und gezielt nach Lehrstellen zu fragen. Die Betriebe selbst öffnen ihre Türen beispielsweise am 26. April zum Girl`s day oder am 7. Mai zum Tag des Ausbildungsplatzes.
Energiewende – was halten Sie von einer Dämmpflicht?
Kentzler: Vorsicht vor einer Überforderung der Menschen! Dämmen ist auch kein Allheilmittel. Zwang und überhöhte Richtwerte bewirken schnell das Gegenteil des Gewünschten. Die Menschen müssen bei der Energiewende mitgenommen werden – wie bei allen einschneidenden politischen und gesellschaftlichen Veränderungen. Pflichten führen schnell dazu, dass sich die Menschen komplett verweigern oder solche Pflichten umgehen. Wir müssen mit Anreizen und Argumenten überzeugen, dass sich Sanierungen der Gebäudetechnik und der Gebäudehülle lohnen. Es ist gut, dass die Regierung die ursprünglich geplante Höhe der Fördermittel für die energetische Gebäudesanierung wieder zur Verfügung stellt. Was fehlt, ist ein von Bund und Ländern getragenes Konzept für steuerliche Anreize. Ein Zick-Zack-Kurs bei der Förderung wie in den vergangenen Monaten verprellt Investitionswillige und rückt das Ziel der Bundesregierung, die Zahl der sanierten Gebäude auf mehr als 1 Prozent pro Jahr zu steigern, in weite Ferne.
Wie stehen Sie zur aktuellen Debatte um das Betreuungsgeld?
Kentzler: Der Beschluss der Bundesregierung zur Einführung des Betreuungsgeldes sollte unbedingt überdacht werden. Mit dem Betreuungsgeld würde gerade für arbeitsmarktferne Familien ein zusätzlicher Anreiz geschaffen, keine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Die Folge wäre eine weitere Verfestigung der Abhängigkeit von staatlichen Transferleistungen. Dies kann auch nicht im Sinne der Steuerzahler sein. Und schließlich: Wie viel Einmischung des Staates in ureigene Angelegenheiten der Familien wollen wir eigentlich noch?