„Es braucht langen Atem“

Zuversichtlich bei der Integration: „Wir werden Erfolg haben“, sagt Handwerkspräsident Wollseifer im Handelsblatt.

Herr Wollseifer, Bundeskanzlerin Merkel hält auch nach den Anschlägen von Würzburg und Ansbach an ihrer Flüchtlingspolitik fest. Glaubt die Wirtschaft noch an Ihr „Wir schaffen das“?
Wollseifer:
Diese Frage muss sich jeder in unserer Gesellschaft ganz persönlich stellen. Wir sind das Handwerk. Wir haben schon im September 2015 überlegt, was wir tun müssen, um Flüchtlinge in größerer Zahl zu integrieren, und wie wir sie qualifizieren können. Wir haben dazu Partner gefunden, wir als ZDH für ein nationales Projekt in BA und BMBF, unsere Handwerksorganisationen zusätzlich Partner in ihrer Region.

Und – schaffen Sie das?
Wollseifer: Das Handwerk hat früher schon bewiesen, dass es einen langen Atem hat, wenn es um Qualifikation geht und um Integration. Wir werden auch dieses Mal Erfolg haben, da bin ich zuversichtlich.

Werfen uns die islamistischen Anschläge von Würzburg und Ansbach bei der Integration der Flüchtlinge zurück?
Wollseifer: Im Einzelfall werden die Handwerker schon genauer hinsehen, aber generell bleibt die Ausbildungs-und Aufnahmebereitschaft hoch. Die Arbeitsagenturen – etwa in Duisburg oder Cottbus – können gar nicht so viele Flüchtlinge in die Ausbildungsvorbereitung vermitteln wie die Betriebe gerne hätten.

Sind Sie zufrieden mit dem gerade in Kraft getretenen Integrationsgesetz?
Wollseifer: Im Großen und Ganzen ja, es gibt uns Rechtssicherheit. Nur dass auch ein Sechs-Mitarbeiter-Betrieb bis zu 30.000 Euro Strafe zahlen soll, wenn der Ausbildungsabbruch eines Flüchtlings nicht innerhalb einer Woche gemeldet wird, geht gar nicht. Zielführender und bürokratieärmer wäre die Meldung über die Zentrale Einzugsstelle der Krankenkassen an die Flüchtlingsbehörde BAMF.

Bis zum Jahr 2018 will das Handwerk 10.000 Flüchtlinge fit für eine Ausbildung machen. Wie weit sind sie?
Wollseifer: Im April ist dieses Projekt mit Bundesagentur und Bundesbildungsministerium gestartet. Inzwischen lernen etwa 1.000 Flüchtlinge in unseren Bildungsstätten, bis Jahresende können es 2.500 werden. Damit liegen wir im Anlaufjahr „im Plan“.

Das ist dann erst ein Viertel der Zielmarke…
Wollseifer: Erst müssen die Asylverfahren abgeschlossen sein, Deutsch- und Integrationskurs absolviert werden. Die Betriebe wollen Auszubildende mit Bleibeperspektive, in der Hoffnung, dass sie ihnen dann in fünf Jahren als vollwertige Facharbeiter zur Verfügung stehen.

Viele Flüchtlinge wollen aber schnell arbeiten und Geld verdienen. Glauben Sie, dass sie fünf Jahre Geduld aufbringen?
Wollseifer: Wir müssen, auch in den Orientierungskursen, noch stärker vermitteln, dass nur eine solide Ausbildung Zugang zu einem selbstbestimmten Leben schafft. In Deutschland werden 600.000 Fachkräfte gesucht, aber es gibt nur 150.000 Helferjobs. Integration muss nachhaltig sein, der erstbeste Job ist nicht genug.

Aber muss die Ausbildung im Handwerk – auch mit Rücksicht auf die Flüchtlinge – wirklich drei Jahre dauern?
Wollseifer: Gerade mit Blick auf die Digitalisierung können wir uns heute keine Schmalspurausbildung leisten. Der Dachdecker arbeitet mit Drohnen, der Metallbauer entwirft seine Treppen am Computer.

Könnten Sie sich eine stärkere Modularisierung vorstellen?
Wollseifer: Das taugt nicht fürs Handwerk. Mit geringem Qualifikationsniveau können wir die Leute nicht allein zum Kunden lassen. Außerdem würden viele nach dem ersten Modul Schluss machen. Wer aber erst mal jobbt, ist kaum für die Weiterqualifizierung zu gewinnen. Das Programm „Spätstarter“ der Bundesagentur für Arbeit…

…das junge Erwachsene ohne Abschluss zu einer Ausbildung motivieren soll…
…wird kaum nachgefragt.

Wollseifer: 2015 hat das Handwerk erstmals seit langem wieder mehr Ausbildungsverträge abgeschlossen als im Vorjahr, es gab ein Mini-Plus von 0,1 Prozent. Die Trendwende?
Derzeit liegen wir bei einem Plus von 6,9 Prozent, aber es sind auch 30.000 Plätze noch offen, selbst bei beliebten Berufen wie dem Kfz-Mechatroniker. Wir brauchen weiter alle als Bewerber. Schwächere Schüler, die wir nachqualifizieren, aber auch Abiturienten und Studienaussteiger mit Karrierewunsch.

Die jungen Leute gehen lieber an die Uni. Wie können sie diesen Trend stoppen?
Wollseifer: In den Köpfen ist verankert: Nur mit Abitur wirst du was. Wir wollen deshalb das Berufsabitur: drei Jahre Lehre und dann ein Jahr fürs Abitur on top. Im Osten gab es früher an den Polytechnischen Oberschulen etwas Ähnliches. Viele junge Leute haben  Schwierigkeiten sich früh für Studium oder Lehre zu entscheiden. So steht ihnen beides offen.

Haben Sie keine Angst, dass die Azubis das Abi gerne mitnehmen und dann doch studieren?
Wollseifer: Erfahrungen mit ähnlichen Modellen in Österreich oder der Schweiz zeigen, dass die Absolventen mit Abi zur Hälfte in den Betrieben bleiben.

Stoßen Sie in der Politik auf offene Ohren?
Wollseifer: Wir stehen in engem Kontakt mit den Kultus- und Wirtschaftsministern in Bund und Ländern und hoffen, noch in diesem Jahr in ersten Pilotschulen starten zu können. Langfristig wollen wir in allen 53 Kammerbezirken eine Schule für das Berufsabitur haben.

Elf europäische Länder machen sich für eine weitere Deregulierung der freien Berufe stark und würden am liebsten den Meisterzwang schleifen. Beunruhigt sie das?
Wollseifer: Wir haben das Bekenntnis der Bundesregierung, dass sie mit uns zusammen für die 41 verbliebenen Meisterberufe kämpfen wird. In den 53 Berufen, die 2004 dereguliert worden sind, findet nur noch fünf Prozent der Ausbildung statt. Vielen Politikern wurde erst langsam klar, was sie damals angerichtet haben.

Was meinen Sie?
Wollseifer: Sie haben erst spät verstanden, dass der Handwerker, der ihnen die Fliesen oder das Parkett verlegt, nicht mal mehr einen Gesellenbrief braucht, um seine Arbeit zu verrichten. Der muss sein Können nirgendwo nachweisen. Das gilt im Übrigen auch für den Bierbrauer.

Interview: Jan Hildebrand, Frank Specht, Klaus Stratmann