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„Wir wollen jeden mit Interesse“

Wenn Interesse an einer Ausbildung im Handwerk da ist, wiegt das auch schwächere Noten auf – so die Botschaft von ZDH-Generalsekretär Schwannecke im Interview mit der NOZ (13.08.2016).

Industrie und Handel klagen über nicht belastbare Lehrlinge, die zudem wegen  Schreib- oder Rechenschwächen nicht fit für die Ausbildung sind. Geht es dem Handwerk auch so?
Schwannecke: Klagen bringt uns nicht weiter. Für das Handwerk gilt: Entscheidend ist das Interesse der Jugendlichen an der Ausbildung, ihre Teamfähigkeit und ihre soziale Kompetenz. Das ist wichtiger als die eine oder andere Note.

Und wenn es beim Können hapert?
Schwannecke: Unsere Betriebe unterstützen die jungen Leute – sie organisieren Nachhilfe oder freiwillige Mentoren. Gemeinsam mit den Arbeitsagenturen kommen besondere Instrumente zum Einsatz: Die „assistierte Ausbildung“ oder die „ausbildungsbegleitenden Hilfen“ sollen mit Lehrern und Sozialarbeitern Defizite ausgleichen oder bei Problemen vermitteln. Unsere klare Botschaft ist: Wir wollen jeden, der Interesse hat.

Die   von der Politik gewollte Akademisierung treibt Deutschlands  Schulabgänger aber  in Gymnasien und später in Studiengänge, die sie oft abbrechen …
Schwannecke: Deswegen ist es wichtig, auch in den Gymnasien über die Chancen in einem der 350 Ausbildungsberufe aufzuklären, statt nur Beratung für einen der über 17.000 Studiengänge in Deutschland zu betreiben. Berufliche und akademische Bildung: Beides ist gleich viel wert – das muss in die Köpfe. Studienaussteiger finden aber mittlerweile Beratung an den Hochschulstandorten über ihre Chancen im Handwerk. 2015 hatten 12,5 Prozent der neuen Auszubildenden im Handwerk das Abitur – der Anteil ist doppelt so hoch wie noch vor zehn Jahren. Ein ermutigendes Zeichen.

Wie ist der sogenannte „Akademisierungswahn“ zu stoppen, der dem Handwerk zu schaffen macht?
Schwannecke: In den Köpfen vieler Menschen sitzt die Vorstellung: Nur mit Abitur wirst Du was. Wir wollen daher das Berufsabitur – das heißt drei Jahre Lehre mit Gesellenprüfung und dann on top ein Jahr für das Abitur. Die Schweizer und Österreicher haben mit diesem Modell gute Erfahrungen gemacht. 50 Prozent dieser Abiturienten bleiben im Betrieb. Wir suchen jetzt gemeinsam mit den Kultusministern  in ausgewählten Bundesländern Standorte für Pilotprojekte.

Reicht das zur Nachwuchssicherung aus?
Schwannecke: Nein, denn die Zahl der Schulabgänger geht weiter zurück. Unmittelbar vor dem Beginn des Ausbildungsjahrs am 1. September sind noch fast 30.000 Lehrstellen im Handwerk unbesetzt. Dabei wachsen unsere Betriebe: Der Wert  handwerklicher Arbeit wird zunehmend geschätzt – der Begriff „Manufaktur“ ist Markenzeichen.

Bis 2018 will das Handwerk 10.000 Flüchtlingen eine Chance anbieten – anders als mancher Großkonzern, der erst viel versprach und dann nichts unternahm. ..
Schwannecke: Ja, wir haben angepackt. Und es war mutig, zu Beginn des Jahres mit einer Zahl nach draußen zu gehen.  Aber aus unseren Betrieben kam das Signal, Flüchtlingen zu helfen und Kräfte zu gewinnen. In diesem Jahr wollen wir 2500 Flüchtlinge in unseren Bildungsstätten qualifizieren, da sind wir im Plan. Aber oft hakt es noch, bei der Anerkennung, bei Sprach- und Integrationskursen.

Zum Schluss: Ein Jahr  vor der nächsten Bundestagswahl 2017 sortieren sich die Parteien. Bei der SPD  sieht es nach einem Rentenwahlkampf aus. Fürchten Sie neue  Versprechen zu Lasten der nachfolgenden Generationen?
Schwannecke: Die Politik darf nicht die Fehler von 2013 wiederholen und Wahlgeschenke an einzelne Gruppen verteilen. Die Mütterrente wie auch die Rente mit 63 betreffen nur wenige, belasten aber alle. Vor allem die nachfolgenden Generationen müssen zahlen. Das kann nicht sein. Es gibt eine Gesamtverantwortung, die die Politik ernst nehmen und annehmen muss. Denn das Rentensystem steht vor riesigen Herausforderungen. Arbeit verändert sich grundlegend, Selbständigkeit nimmt zu. Aber unser Rentensystem basiert noch immer auf dem Leitbild, dass ein Arbeitnehmer 40 Jahre durchgehend Ansprüche erwirbt. Das geht nicht mehr lange gut.

Trifft es Ihre Betriebe?
Schwannecke: Handwerk ist arbeitsintensiv – Maler oder Friseure haben einen Personalkostenanteil von mehr  80 Prozent. In der Industrie sind es oft nur noch sechs Prozent. Daher tragen unsere Beschäftigten und Betriebe maßgeblich das gegenwärtige  Rentensystem. Wir brauchen eine  zukunftsfeste Lösung. Nicht immer neue Ausgaben für einen kleinen Kreis von Empfängern, wie aktuell die sogenannte Lebensleistungsrente. Da ist schon der Name irreführend.

Die Unions-Mittelständler  peilen  mit Blick auf den Wahlkampf 2017 den Abbau von Steuerlasten bei  Normalverdienern und Familien an…
Schwannecke: Wir finden das Konzept schlüssig und sehen auch die Finanzierung gesichert. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble hat ja selbst einmal die übermäßige Steuerbelastung mittlerer Einkommen als „nicht gewollte Einnahmen“ bezeichnet. Jetzt besteht die Chance, diese Einnahmen „zurückzugeben“. Insbesondere aus Sicht unserer Betriebe und ihrer Mitarbeiter ist das ein Stück Steuergerechtigkeit.

Und der Soli – was wird daraus?
Schwannecke: Das Handwerk hat schon 2008 einstimmig dahin votiert, den für den Aufbau Ost bis 2020 geplanten Solidarbeitrag zurückzuführen. Er wird mehr und mehr für das Stopfen von Löchern im allgemeinen Haushalt verwandt. Heute ist die Zweckbindung des Soli nahezu ausgehöhlt:  2015 betrug  das Soli-Aufkommen 16 Milliarden Euro, davon flossen  nur noch 6,7 Milliarden Euro  in die neuen Länder.  2019 sind 19 Milliarden Euro Soli-Einnahmen zu erwarten und davon  bekommt der Osten nur noch 3,6 Milliarden. Schluss mit dem Soli also – das ist ein Stück Steuerehrlichkeit.

Interview: Beate Tenfelde

Quelle: ZDH