„Wer am Meisterbrief rüttelt, torpediert die Wirtschaft!“

Das Handwerk muss gegenüber der Politik mit einer Zunge sprechen, unterstreicht Hans Peter Wollseifer, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), im Gespräch mit der Zeitschrift „Der Maler“ (August 2014): „Sonst wird man gnadenlos vorgeführt.“ Leidenschaftlich plädiert er für den Meisterbrief – als „Orientierungspunkt in Europa“.

DER MALER: Herr Wollseifer, seit 2014 sind Sie nun Präsident der größten Handwerksorganisation. Bei Ihrer Wahl bezeichneten Sie das Handwerk als Partner und Berater der Politik. Diese Tradition wollen Sie, so Ihre Worte, gerne fortsetzen. Dabei sehen Sie bei der Politik aktuell „echten Beratungsbedarf“. Wo brennt es denn augenblicklich am meisten?

Wollseifer:
Europa lobt den Meister und die duale Ausbildung im deutschen Handwerk, versucht aber gleichzeitig, die Meisterpflicht zu schleifen. Wir müssen wieder und wieder erklären, dass die erfolgreiche duale Ausbildung nur über Meisterbetriebe und mit dem organisatorischen Rückhalt der Handwerkskammern realisiert werden kann.

DER MALER: Gibt es Dinge, wo sich die Politik im Moment „beratungsresistent“ zeigt?

Wollseifer: Ja. Es ist schier unbegreiflich, dass die Politik ein Rentenpaket als „gerecht“ verkauft, das nur Ungerechtigkeiten produziert. Die Mütterrente ist, wenn man sie denn will, eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und darf nicht nur von den Beitragszahlern finanziert werden. Und die Rente mit 63 nutzt gerade einmal 12 Jahrgängen – alle anderen zahlen dieses Privileg. Arbeitnehmer und Arbeitgeber über steigende Beiträge, Rentner mit geringeren Renten, und die Jungen mit einem sinkenden Rentenniveau. Und Betriebe, die ihre älteren Mitarbeiter qualifiziert haben, um sie und ihre Erfahrung im Betrieb zu halten, fühlen sich vom Hü und Hott der Politik nicht mehr ernst genommen.

DER MALER: Wie ist denn Ihr Präsidenten-Start verlaufen? Was war denn in den letzten sechs Monaten Ihre prägendste Erfahrung?

Wollseifer: Der Unterschied zwischen Politik und Wirtschaft! Als Unternehmer merkt man ja schnell, wo etwas faul ist, und will es sofort verbessern. Aber so funktioniert Politik nicht. Und wer zu vorlaut wird, der hat schon verloren. Wir stellen daher sachlich fest, was in der Politik nicht für Wirtschaft und speziell Handwerk passt, oder was richtig ist. Und wir sind stets bereit, uns als Ratgeber zur Verfügung zu stellen. Da muss man einen langen Atem haben.

DER MALER: Sie sind Maler- und Lackierermeister, haben sich lange in der Maler- und Lackiererinnung sowie der Kreishandwerkerschaft Rhein-Erft engagiert. Sie waren 10 Jahre Kreishandwerksmeister und sind seit Mai 2010 Präsident der Handwerkskammer zu Köln. Strukturen von Innungen und Kammern als Basis einer erfolgreichen Handwerkspolitik?

Wollseifer: Es geht in der Politik nur gemeinsam. Sobald eine Organisation mit unterschiedlichen Zungen spricht, wird sie gnadenlos vorgeführt. Unsere Strukturen sind die Grundlage für den gewinnbringenden Austausch von der Basis bis zum Spitzenverband und umgekehrt.

DER MALER: Mit Karl-August Siepelmeyer und Stefan Füll sind neben Ihnen nun drei Malermeister im ZDH-Präsidium. Klingt nach bester Lobbyarbeit fürs Maler- und Lackiererhandwerk?

Wollseifer: Es ist gut, dass das Maler- und Lackiererhandwerk wieder so stark in der ZDH-Spitze verankert ist. Allerdings geht es beim ZDH immer um die Rahmenbedingungen für das Gesamthandwerk. Mit unseren Netzwerken und politischen Erfahrungen können wir jedoch auch viel für unsere Fachvertretung bewirken.

DER MALER:  Aus den Diskussionen im Maler- und Lackiererhandwerk ist das Thema „Meisterbrief“ nicht wegzudenken. Ein Plädoyer für den Meisterbrief aus dem Mund des ZDH-Präsidenten könnte lauten?

Wollseifer: Der Meisterbrief ist und bleibt die Grundlage für die hohe Qualifikation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Handwerk und die Qualität der Produkte und Dienstleistungen. Meisterbetriebe sichern die Erfolge des Handwerks und seine unverzichtbare Rolle in der Wertschöpfungskette der deutschen Wirtschaft. Wer am Meisterbrief rüttelt, torpediert daher die gesamte deutsche Wirtschaft.

DER MALER: Bundeskanzlerin Angela Merkel würdigte bei Ihrer offiziellen Amtsübergabe die Bedeutung der 1 Million Handwerksbetriebe mit ihren 5,3 Millionen Beschäftigten. Das Motto der großen Handwerkskampagne „Wirtschaftsmacht von nebenan“ bezeichnete die Kanzlerin als Understatement. Die Kampagne habe ein unglaubliches Wir-Gefühl erzeugt. Wie steht es denn um das Wir-Gefühl im Handwerk?

Wollseifer: Zu allererst muss jeder von uns seinen Betrieb am Laufen halten, seine Kunden zufriedenstellen, seine Azubis gut ausbilden, seine Mitarbeiter qualifizieren. Das Gefühl dafür, damit ein wichtiger Teil der lebendigen Wirtschaftsmacht Handwerk zu sein, muss aber noch mehr selbstbewusst nach außen getragen und gelebt werden.

DER MALER: Wie beurteilen Sie Resonanz und Fortführung der großen Imagekampagne?

Wollseifer: Sie haben eben die Bundeskanzlerin zitiert. Die Imagekampagne hat bei der Politik und allen anderen relevanten gesellschaftlichen Gruppen, ja selbst bei Großunternehmen eine unvorstellbar positive Resonanz. Wo immer wir als Spitzenvertreter des Handwerks hinkommen, werden wir beglückwünscht. Gerade bei den Entscheidern der Republik hat die Kampagne das Bild des Handwerks gerade gerückt. Ich würde mich freuen, wenn künftig Betriebe verstärkt die Chancen erkennen, die die Kampagne jedem einzelnen bietet. Die Gremien des ZDH haben sich für die Zukunft für eine neue Agentur entschieden. Sie will die Botschaften erstens verstärkt an die Jugend bringen, die im Berufswahlprozess steckt, zweitens für den regionalen und lokalen Einsatz tauglich machen.

DER MALER: Vor einigen Wochen war Europawahl. Welche dringendsten Dinge fallen Ihnen zum Thema Brüssel ein? Stichwort „Arbeitnehmerfreizügigkeit“ und „Dienstleistungsrichtlinie“?

Wollseifer: Das mache ich zur Chefsache. ZDH-Generalsekretär Schwannecke und ich beobachten mit dem ZDH-Büro in Brüssel genau, ob sich hier etwas gegen das Handwerk entwickelt. Dann binden wir unseren Europaausschuss ein und handeln.

DER MALER: Lässt sich der Meisterbrief nicht endlich europäisch zementieren?

Wollseifer: Europa ist und bleibt Vielfalt. Die europäischen Institutionen müssen verstehen, dass sie Europa als ganzes schwächen, wenn sie die Stärken der einzelnen Länder nach unten nivellieren. Es sollte doch umgekehrt laufen: Best-practice, wie Meisterbrief und duale Ausbildung in Deutschland, sollte zum Orientierungspunkt für andere Länder werden. Einige hundert Spanier durchlaufen gerade die Gesellenausbildung, machen vielleicht später den Meister – das werden künftig die Botschafter des Handwerks in Südeuropa sein.

DER MALER: Das Hinterfragen von Kammersystemen scheint auch eine beliebte Tätigkeit (nicht nur) der EU-Kommission. Sie haben kürzlich von einer Transparenz-Offensive gesprochen. Was verbirgt sich dahinter?

Wollseifer: Der DHKT hat das zu seinem Thema gemacht. Transparenz bei Wahlentscheidungen, beim Haushalt der Kammer, bei der Festsetzung der Gebühren – das wird heute von unseren Mitgliedern, aber auch der Öffentlichkeit gefordert. Dem tragen wir selbstverständlich Rechnung. Das stärkt die Akzeptanz der Selbstverwaltung.

DER MALER: Wie würden Sie die im Januar verabschiedete neue
EU- Vergaberichtlinie kommentieren?

Wollseifer: Das Ansinnen, im Rahmen der öffentlichen Auftragsvergabe etwa soziale oder Umwelt-Kriterien vorzugeben, überlastet das Vergabeverfahren. Kleine Unternehmen werden durch die dafür zu erbringenden Nachweise überfordert. Vergabefremde Kriterien müssen bei der Umsetzung in deutsches Recht daher eng begrenzt werden. Es gibt aber auch positive Ansätze, wie die hierzulande schon praktizierte Aufteilung eines Auftrags in Teillose.

DER MALER: Auch im Maler- und Lackiererhandwerk bleiben so manche Ausbildungsstellen unbesetzt. Ein spezielles Problem des Handwerks?

Wollseifer: Die demografische Entwicklung mit sinkenden Schulabgängerzahlen und der Trend zu Abitur und Studium setzen der gesamten Wirtschaft zu. Wir haben es aber geschafft, hier eine gesellschaftliche Diskussion anzustoßen. Wir müssen alle davon überzeugen, dass berufliche und akademische Bildung nicht nur auf dem Papier gleichwertig sind.

DER MALER: Wie kann man denn dem oft zitierten Fachkräftemangel begegnen?

Wollseifer: Die Betriebe sprechen unsere Betriebsberater immer häufiger an, um Unterstützung für eine professionelle Personalanalyse und die richtige Personalplanung zu bekommen. Das ist der richtige Schritt! Die Handwerksorganisationen bieten auch ihre Unterstützung bei Ausbildung und Qualifizierung an.

DER MALER: Das Handwerk und seine Qualifikation soll immer mehr auf einer Ebene mit der akademischen Bildung gehalten werden. Eine überfällige und notwendige Entwicklung?

Wollseifer: Die Spitzenqualifikationen im Handwerk sind im Deutschen Qualifikationsrahmen auf Augenhöhe mit einem akademischen Bachelor. Damit haben wir schwarz auf weiß: Bei unterschiedlichen Kompetenzen ist der Wert beider Ausbildungswege gleich. Doch schon wer den Gesellenbrief besitzt, hat  Qualifikationen, nämlich Handlungskompetenzen, über die kein Akademiker verfügt.

DER MALER: Ein Satz aus Ihrem Mund „Wir brauchen die Häuptlinge, um die Indianer beschäftigen zu können“. Klingt nach Berufsorientierung und/oder Wildwest?

Wollseifer: Wir können doch nicht tatenlos zuschauen, wie jungen Leuten weisgemacht wird, dass der Mensch erst als Akademiker zählt. Das Handwerk muss um die Talente werben, die sich lieber als Macher beweisen wollen. Ich habe mich als Unternehmer selbst verwirklicht, und in meinem Berufsleben viele Arbeits- und Ausbildungsplätze geschaffen. Und ich weiß: Jeder kann es im Handwerk zum Häuptling bringen, also zum Unternehmer.

DER MALER: Die Ausbildungsleistung im Handwerk bleibt hoch. Bis zum 31.Mai wurden rund 44000 Ausbildungsverträge abgeschlossen, 3,7 Prozent mehr als im Vergleichszeitraum des Vorjahres. Das klingt doch durchaus optimistisch?

Wollseifer: Die starken Betriebe suchen sich ihre Azubis immer früher. Doch viele kleine Betriebe finden keinen Nachwuchs mehr. Daher brechen die Zahlen immer im August und September ein. Unsere Ausbildungsberater unterstützen daher mittlerweile gezielt auch kleine Handwerksbetriebe bei der Besetzung der Ausbildungsplätze.

DER MALER: Wie stellt sich in diesem Zusammenhang das Handwerk zum Thema „Inklusion“?

Wollseifer: Hier hat das Handwerk sicher gegenüber anderen Wirtschaftsbereichen die Nase vorn. Auf der Seitewww.inklusion-gelingt.de/praxisbeispiele.html   der Wirtschaft zeigen bereits gute Praxisbeispiele, wie vielfältig Inklusion im Handwerk Wirklichkeit wird. Gerade Betriebe mit Nachwuchssorgen  sollten sich hier informieren.

DER MALER: Ein Satz zur Mindestlohndiskussion?

Wollseifer: Eine schädliche und überflüssige Gesetzesinitiative, die die branchenspezifische Tariffindung in Zukunft zumindest sehr schwierig machen wird. Und gerade Jugendliche aus einem schwierigen sozialen Umfeld werden schwerlich den Verlockungen einer Mindestlohn-Beschäftigung widerstehen können. Das  torpediert unsere Bemühungen, diese jungen Menschen in Ausbildung zu holen.

DER MALER: Herr Wollseifer, Sie müssen zwar jetzt fürs Gesamthandwerk denken, aber wie würden Sie einem Schulabgänger das Maler- und Lackiererhandwerk schmackhaft machen?

Wollseifer: So vielfältige Möglichkeiten der beruflichen Betätigung und für eine Karriere gibt es in kaum einem anderen Handwerksberuf. Junge Menschen können nach einer Ausbildung im Maler- und Lackiererhandwerk sofort das Ergebnis ihrer Arbeit sehen. Das macht stolz und gibt Zufriedenheit.

DER MALER: Wo sehen Sie das Gewerk des Maler- und Lackiererhandwerks in zwanzig Jahren?

Wollseifer: Die Zukunft sollten die Unternehmen positiv angehen. Allein der Bereich der Energieeffizienz bietet enorme Chancen. Die Wohnungs- und Eigenheimbesitzer geben aber auch wieder gerne Geld für Erhalt und Verschönerung ihres Eigentums aus.

DER MALER: Herr Wollseifer, Sie dürfen Sich vom Maler- und Lackiererhandwerk etwas wünschen. Was wäre dies?

Wollseifer: Ich wünsche mir, dass sich alle Engagierten im Maler- und Lackiererhandwerk auch in Zukunft für die Ausbildung junger Menschen so stark engagieren, wie das in den zurückliegenden Jahren der Fall war. Wir müssen diesen Jugendlichen eine Lebensperspektive bieten. Damit kommen wir weiterhin unserer hohen gesellschaftlichen Verantwortung nach, sichern aber gleichzeitig auch den eigenen Fachkräftebedarf der Betriebe.