„Eingriff ins Rentensystem ist falsch“
Kritik an der Höhe des Rentenbeitrags und den für Beitragszahler teuren „sozialen Wohltaten“ der Bundesregierung übt ZDH-Präsident Hans Peter Wollseifer im Interview mit der BILD: Der Eingriff ins Rentensystem ist falsch.“ Positiv bewertet Wollseifer die Chancen der Freizügigkeit in der EU: „Wir suchen Facharbeiter – selbstverständlich auch aus Osteuropa.“
Verstehen Sie die Aufregung über die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien?
Hans Peter Wollseifer: „Der Termin für die Freizügigkeit war doch seit langem bekannt, da hätte man sich längst drauf vorbereiten können.“
Haben Sie das denn getan?
Wollseifer: „Jeder, der arbeiten will, ist im Handwerk herzlich willkommen. Wir suchen arbeitswillige Facharbeiter – selbstverständlich auch aus Osteuropa. Wir stellen gerne Lehrlinge aus Rumänen und Bulgarien ein. Wir wollen aber keinen Sozialsystem–Tourismus. Missbrauch muss konsequent verfolgt werden.“
Keine Angst vor einer neuen Billigkonkurrenz?
Wollseifer: „Die illegale Unterwanderung der Tariflöhne bleibt eine große Gefahr. Und Tagelöhner, die an unseren Straßen stehen, sich für Mini-Löhne anbieten, können nicht die Lösung sein.“
Und wie wollen Sie sich vor Dumping-Löhnen und Schwarzarbeit schützen?
Wollseifer: „Da muss der Staat eingreifen. Die zuständige Kontroll-Behörde beim Zoll braucht dringend mehr Personal. Dann sind auch mehr Betriebsüberprüfungen möglich.“
Zur GroKo: Als erstes wurde die Senkung des Rentenbeitragssatzes gestrichen, neue Sozialausgaben beschlossen. Zufrieden?
Wollseifer: „Nein! Der Eingriff ins Rentensystem ist falsch. Betrieben und Beschäftigten fehlt eine wichtige Entlastung. Wir brauchen auch keine weiteren sozialen Wohltaten.“
Was droht?
Wollseifer: Die Mütter-Rente und die Rente mit 63 wird Arbeit völlig unnötig teurer machen. Und am Ende trifft es die Verbraucher. Steigende Lohnkosten müssen sich Handwerker früher oder später über höhere Preise zurückholen.“
Mit dem Mindestlohn steht eine weitere Belastung schon fest.
Wollseifer: „Ich halte nichts davon, dass sich die Politik in die Lohnfindung einmischt. Dafür gibt es Tarifparteien. Für große Teile des Handwerks zahlen wir schon heute Mindestlöhne. Die allerdings berücksichtigen regionale und branchenspezifische Unterschiede. Fakt ist: Nicht jeder ostdeutsche Bäcker kann 8,50 Euro pro Stunde zahlen.“
Wird der Mindestlohn zum Jobkiller?
Wollseifer: „Gerade für Ostdeutschland und im Dienstleistungsbereich ist der Mindestlohn ein gefährliches Spiel. Jobabbau und Firmenpleiten schließe ich nicht aus.“
Was soll Vize-Kanzler Gabriel bei der Energiewende als erstes anpacken?
Wollseifer: „Es gibt zu viele Ausnahmen bei der Öko-Umlage für große Firmen. Strom muss auch für die Kleinen bezahlbar sein. Denkbar wäre ein Freibetrag bei der Stromsteuer für Privathaushalte sowie kleine und mittlere Betriebe.“
Letztere leiden besonders unter dem Fachkräfte-Mangel…
Wollseifer: „Es ist ein Drama! Firmen könnten so viel mehr Umsatz machen, hätten sie genügend qualifiziertes Personal. Alleine 15000 Lehrstellen blieben 2013 unbesetzt, Tendenz steigend. Und in den kommenden zehn Jahren wird jeder vierte Betrieb, das sind 250000 Firmen, aus Altersgründen einen Nachfolger brauchen.“
Hört sich nach guten Job-Perspektiven an. Warum geht ihnen trotzdem der Nachwuchs aus?
Wollseifer: „Problem ist doch, dass Abitur und Studium heutzutage als Königsweg gelten. Das war früher anders. In den Köpfen vieler sind Haupt- und Realschulen nicht mehr gut genug. Und genau da bricht uns der Nachwuchs weg. Zudem sind die Zukunftschancen zu wenig bekannt. Mit einer Kampagne machen wir daher deutlich: Handwerk ist nicht nur Blaumann, sondern auch High-Tech.“
Na ja, es hapert aber auch am Gehalt. Im Osten bekommen Friseur-Azubis nur 269 Euro. Wo ist da der berühmte goldene Boden?
Wollseifer: „Der goldene Boden ist die Ausbildung. Die Vergütung ist für die Berufswahl auch nicht entscheidend. Maurer-Azubis erhalten fast 1000 Euro, und doch fehlt es an Bewerbern. Immerhin gab es vergangenes Jahr im Schnitt 4,2 % mehr, das wird sich fortsetzen.“
Wird 2014 denn auch ein vernünftiges Jahr für’s Handwerk?
Wollseifer: „Unsere Auftragsbücher sind fast überall voll. Wir rechnen mit 2 % Umsatzplus und bis zu 25.000 neuen Jobs – wenn wir die Leute finden.“
Interview: Christin Martens und Henrik Jeimke-Karge
Quelle: ZDH