Im Zentrum der Politik muss stets der Mensch stehen Handwerk und Kirchen diskutieren über notwendige Weichenstellungen in Deutschland und Europa
Im Zentrum politischer Entscheidungen muss stets der Mensch stehen. Das war die wichtige Botschaft der diesjährigen Tagung des Zentralen Besprechungskreis Kirche-Handwerk im Januar in Mannheim. Hochrangige Repräsentanten der Handwerksorganisation und der beiden großen Kirchen treffen sich traditionell als Jahresauftakt zum Austausch über drängende gesellschaftspolitische Fragen.
Wenige Monate vor den Europawahlen diskutierte der Kreis mit Dr. Friedrich Heinemann vom Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim, ob die richtigen Lehren aus der Euro- und Staatsschuldenkrise gezogen werden. Dabei wurde deutlich, dass der von Euro-Skeptikern geforderte Ausstieg aus der gemeinsamen Währung keine Lösung ist, sondern glaubwürdige Strategien zur künftigen Risikominimierung erforderlich sind. Der gemeinsame Binnenmarkt muss durch einen klaren Ordnungsrahmen unter Wahrung des Subsidiaritätsgrundsatzes und Achtung der europäischen Vielfalt gestaltet werden. „Unerlässlich für eine zukunftsfeste Europäische Union als Friedens- und Wertegemeinschaft ist letztlich ein ausgewogenes Verhältnis von Solidarität und Eigenverantwortung der europäischen Mitgliedsstaaten untereinander“, betonte der katholische Weihbischof Dr. Bernhard Haßlberger aus München-Freising.
Deutschland steht derzeit wirtschaftlich deutlich besser da als seine Nachbarn. Dies darf aber nicht dazu führen, dass Politik die Hände in den Schoß legt oder in kurzatmige Klientelpolitik zurückfällt. Mit Sorge betrachtet der Besprechungskreis deshalb das aktuelle Rentenpaket der neuen Bundesregierung im Hinblick auf die Pläne zur abschlagsfreien Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren. Nur eine verlässliche, finanzierbare und generationengerechte Politik schafft das nötige Vertrauen in unser Gemeinwesen und sichert seine langfristige Akzeptanz bei Bürgern und Betrieben.
Mit der renommierten Politik- und Parteienforscherin Prof. Andrea Römmele von der Hertie School of Governance in Berlin wurde über den strukturellen Wandel des Parteiensystems diskutiert. Wählerinnen und Wähler identifizieren sich inzwischen mehr mit Personen als mit Programmen. Da sich die großen Parteien inhaltlich angenähert haben, fehlen klassische politische Visionen, die polarisieren. Stattdessen wird Politik kleinteilig, die Wählerbindung geht zurück. Große gesellschaftliche Herausforderungen wie der demographische Wandel dürfen dabei aber nicht vergessen werden. Zu seiner Bewältigung sind vorausschauende Konzepte mehr denn je gefragt.
Dies gilt auch für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einschließlich der zunehmenden Pflege von Angehörigen. Ausgehend vom Familienpapier der EKD berieten die Teilnehmer Möglichkeiten und Grenzen lebensphasenorientierter Zeitpolitik. Am Ende kommt es hier auf Lösungen an, die nicht nur Großkonzernen und öffentlichem Dienst helfen, sondern auch der Praxis und dem Betriebsalltag von Kleinunternehmen gerecht werden.
Angesichts des zunehmenden Fachkräftemangels unterstrich ZDH-Geschäftsführer Karl-Sebastian Schulte die Chancen der Freizügigkeit in Europa. Diese und nicht der mögliche Missbrauch von Sozialleistungen müssen als Botschaft im Vordergrund stehen, so der Vorsitzendes des Besprechungskreises: „Jeder ausbildungswillige Jugendliche aus Spanien und jeder Facharbeiter aus Rumänien oder Bulgarien ist im Handwerk willkommen.“
Altbischof Professor Axel Noack von der evangelischen Kirche in Mitteldeutschland hob die Integrationskraft der inhabergeführten Familienbetriebe hervor: „Das Handwerk mit seiner hohen Ausbildungsleistung, der regionalen Verwurzelung und dem einzigartigen Vertrauensverhältnis zu Mitarbeitern und Kunden darf sein Licht nicht unter den Scheffel stellen“, sondern müsse diese Vorteile im Wettbewerb um gute Fachkräfte selbstbewusst herausstellen.
Im Mittelpunkt des Gesprächs mit dem evangelischen Landesbischof von Baden stand die Umsetzung der Energiewende. Dr. Ulrich Fischer war Mitglied der Ethikkommission „Sichere Energieversorgung“, die die Bundekanzlerin 2011 nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beim Ausstieg aus der Kernkraft beriet. Schon damals sah dieser Expertenkreis die Notwendigkeit energetischer Gebäudesanierung durch qualifizierte Handwerker als unverzichtbaren Baustein des neuen Energiekonzeptes. Die Kirchen gehen bei der Sanierung ihres eigenen Gebäudebestands mit gutem Beispiel voran. Auch zu den Auswirkungen der Digitalisierung auf Unternehmen und Presse tauschte sich der Kreis mit dem EKD-Medienbischof aus.
Die vielfältigen Formen der gewachsenen Zusammenarbeit zwischen dem Handwerk und den Kirchen auf Bundes- und regionaler Ebene sollen nach dem Willen des Besprechungskreises in einem neu gefassten Kooperationspapier manifestiert werden. Hiervon verspricht man sich neue Impulse des Austausches.