Kentzler: Tausende Betriebe werden einen Nachfolger suchen

Die Beilage des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales in der Novemberausgabe der Fachzeitschrift journalist widmet sich ausführlich dem Thema Fachkräftesicherung. In einem Interview macht ZDH-Präsident Otto Kentzler deutlich, dass das Handwerk jungen Menschen interessante und vielfältige Berufsperspektiven bietet.

Herr Kentzler, was bedeutet der Fachkräftemangel für das Handwerk?

Kentzler: Das Handwerk braucht gut ausgebildete Fachkräfte. Im Gegensatz zu Akademikern können diese nicht in Drittstaaten angeworben werden, sondern müssen selbst ausgebildet werden. Mit Erfolg klärt die Imagekampagne Jugendliche über die modernen und zukunftsträchtigen Berufe des Handwerks auf: In diesem Jahr steigen die Ausbildungszahlen wieder. Dazu kümmern sich die Betriebe intensiv um Weiterbildung der Belegschaft, schaffen familienfreundliche Arbeitsbedingungen für junge Väter und Mütter und halten ältere Fachkräfte länger in Beschäftigung.

Viele Handwerksbetriebe suchen händeringend Nachwuchs. Wie wollen sie für die sinkende Zahl von Schulabgängern attraktiv bleiben?

Kentzler: Das Bild vom Handwerk braucht ein update. Handwerker nutzen heutzutage viele innovative Techniken, neuartige Materialien und modernste Computertechnik – das ist Schulabgängern aber nicht ausreichend bewusst. Eine besondere Stärke ist der persönliche menschliche Umgang in kleinen und mittleren Betrieben, wo die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Regel in den gesamten Prozess eingebunden sind.

Wie viele Ausbildungsplätze blieben in den vergangenen Jahren unbesetzt?

Kentzler: In den vergangenen drei Jahren blieben zusammen rund 30.000 Plätze frei.

Fast jeder zweite Jugendliche erreicht heute die Hochschulreife. Was können sie ihnen bieten?

Kentzler: Immerhin acht Prozent der Auszubildenden im Handwerk sind Abiturienten. Das ist Rekord. Karrierepläne machen den Start im Handwerk attraktiver als früher. Ein weiterer Trumpf ist sicher die Selbstständigkeit. Das Handwerk braucht viele junge und engagierte Chefs, denn tausende Betriebe werden in den kommenden Jahren einen Nachfolger suchen.

Welche Berufe sind besonders beliebt?

Kentzler: Der Anteil der Abiturienten ist in den vergangenen Jahren vor allem in medizinnahen Berufen deutlich gestiegen. Bei Hörgeräteakustikern liegt er über 50 Prozent, Augenoptiker, Orthopädiemechaniker oder Zahntechniker sind ebenfalls begehrt. Viele Abiturienten wählen auch Berufe wie Bootsbauer, Maßschneider oder Kraftfahrzeugmechatroniker.

Und dafür verzichten Abiturienten aufs Studium?

Kentzler: Handwerkliche und akademische Ausbildung schließen sich ja nicht aus. Seit Mitte der neunziger Jahre ist die Zahl der dualen Studiengänge immens gestiegen, auf über 700. Dabei wird ein Studium an einer Hochschule oder Berufsakademie mit einer Berufsausbildung beziehungsweise Praxisphasen in einem Unternehmen kombiniert. Etwa die Hälfte eignet sich auch für eine Ausbildung im Handwerk.

Welche jungen Menschen wollen sie daneben stärker als bisher mobilisieren?

Kentzler: Jeder dritte Schüler hat heute einen Migrationshintergrund. Diese jungen Menschen müssen wir besser als bisher ins Berufsleben integrieren. Das beginnt damit, dass wir Handwerksmeister mit ausländischen Wurzeln als Vorbilder in die Schulen schicken, um Lust auf eine Lehre im Handwerk zu machen. Handwerkskammern in Großstädten stellen vermehrt Berater mit beispielsweise türkischen Sprachkenntnissen ein, um die Familien zu erreichen.

Muss das Handwerk seine Anforderungen an seine Auszubildenden drosseln?

Kentzler: Wir wollen Qualität und Qualifikation vermitteln, deshalb bieten viele Ausbildungsbetriebe längst Nachhilfe und anderen Unterstützungsmaßnahmen, um ihre Auszubildenden zum erfolgreichen Abschluss zu bringen. Andere führen über die Einstiegsqualifizierung Jugendliche an die Ausbildung heran. Doch alle Anstrengungen werden nur fruchten, wenn auch die jungen Leute Einsatz und Leistungsbereitschaft zeigen.

Sind die Schüler wirklich schlechter als früher?

Kentzler: Jedenfalls sind sie nicht dümmer als früher. Denn viele Jugendliche – auch mit schwachen Noten – starten in der Ausbildung oft durch.