„Voll integrierte Flüchtlinge nicht abschieben“

Herr Wollseifer, Rekord-Beschäftigung, gute wirtschaftliche Lage, jede Menge Aufträge – das Handwerk kann eigentlich nicht klagen, oder?

Dem Handwerk geht es zurzeit wirklich gut. Die Betriebe haben volle Auftragsbücher und richtig zu tun – teils können sie gar nicht alle Aufträge annehmen, weil Personal fehlt. Dabei stellen die Betriebe schon so viele Fachkräfte ein, wie sie finden können, und bilden auch kräftig aus. 93 Prozent der Handwerker sind der Ansicht, dass es sehr gut, gut oder zumindest befriedigend läuft. Nur sieben Prozent sind unzufrieden. Die Zuversicht ist groß.

 

Der DGB beklagt eine miserable Qualität der Ausbildung – wie reagieren die Arbeitgeber darauf?

Der Vorwurf der Gewerkschaften kommt gebetsmühlenartig zu Beginn jeden Ausbildungsjahres. Das ist kontraproduktiv und unseriös. Denn 70 bis 80 Prozent der Auszubildenden sind laut Umfragen zufrieden. Das sind Zustimmungswerte, von denen andere träumen, ein tolles Ergebnis, das man nicht schlechtreden sollte. Das alljährliche Klagelied des DGB verkennt die hohe Ausbildungsleistung und -qualität unserer Handwerksbetriebe, gerade auch, wenn man sich anschaut, welchen jungen Menschen das Handwerk – mehr als andere Wirtschaftsbereiche – eine Chance gibt: Alle Gruppen finden im Handwerk ein Zuhause, fünf Prozent unserer Azubis haben gar keinen Abschluss. Viele Lehrlinge haben einen Migrations- oder Fluchthintergrund. Auch um die kümmern wir uns. Dass während einer Ausbildung nicht jeden Tag eitel Sonnenschein herrscht, erklärt sich doch von selbst.

 

Wo drückt das Handwerk der Schuh?

Unsere große Sorge gilt den Sozialabgaben. Die belasten das Handwerk immer stärker. Die Große Koalition kommt uns teuer zu stehen. Allein die Pflegebeiträge werden um 0,5 Prozent erhöht. Die Senkung des Arbeitslosenbeitrages ist politische Augenwischerei und reicht nicht aus. Denn auch bei der Rente wird es höhere Belastungen geben. Da kommt eine ganze Menge auf uns zu. Unsere Mitarbeiter haben immer weniger Netto vom Brutto. Die Wertschöpfung der Betriebe nimmt immer mehr ab. Wird an der Beitragsschraube immer weiter gedreht, dann ist schon sehr bald die Belastungsgrenze für unsere Betriebe überschritten. An der Schmerzgrenze sind wir längst. Und von den versprochenen Entlastungen ist schon überhaupt keine Rede mehr.

 

 

Für weitere Entlastungen wie Steuersenkungen sieht die Bundesregierung trotz Rekordeinnahmen keinen Spielraum. Was erwartet das Handwerk?

Dass endlich Ernst gemacht wird und alle Bürgerinnen und Bürger entlastet werden. Das war doch absurd, dass die SPD ausgerechnet an dem Tag, als Rekord-Steuerüberschüsse gemeldet wurden, über die Notwendigkeit von Steuererhöhungen gesprochen hat. Nein, das muss aufhören – allemal bei den momentanen Rekordeinnahmen. Der Soli muss weg, und zwar für alle. Eine Zwei-Klassen-Entlastung darf es hier nicht geben. Über die Streichung des Soli kann der Bund allein entscheiden und sollte es jetzt auch tun. Auch beim Abbau der Kalten Progression müssen wir weiter gehen. Mit jeder Lohnerhöhung steigen die Einnahmen des Bundesfinanzministers. Für unsere Mitarbeiter bleibt immer weniger Netto vom Brutto. Wir müssen uns Gedanken machen, wie wir die nächste Generation entlasten.

 

Die Bundesregierung plant ein Fachkräftezuwanderungsgesetz und streitet über den so genannten Spurwechsel. Die SPD und Teile der CDU fordern, dass integrierte Flüchtlinge mit einem Job bleiben dürfen. Schließt sich das Handwerk da an?

Ein genereller „Spurwechsel“ ist nicht unser Ziel, um keine neuen Missbrauchsmöglichkeiten zu eröffnen. Aber wenn Flüchtlinge, die bereits hier sind, voll integriert sind und einen Berufsabschluss und Arbeitsvertrag haben, dann müssen sie die Möglichkeit haben, auch zu bleiben. Die dürfen wir nicht abschieben. Wir als Handwerk haben die Herausforderung der Integration sehr Ernst genommen. Fast die Hälfte aller Flüchtlinge, die eine Ausbildung machen, ist im Handwerk – also überproportional viele im Vergleich zu anderen Wirtschaftsbereichen. Wenn jetzt Menschen abgeschoben werden, die schon einen Ausbildungsvertrag haben oder in der Ausbildung sind, ist das ein Irrweg. Wir dürfen nicht die Falschen abschieben. Das ist zudem volkswirtschaftlicher Irrsinn. Für die Betroffenen selbst ist es ein absolutes Trauma. Gerade für Parteien mit einem C im Namen sollte das auch eine humanitäre Verpflichtung sein. Es kann doch wohl nicht sein, dass wir gut integrierte Flüchtlinge mit einem Job abschieben, und andere, die kriminell sind, nicht abgeschoben werden.

 

Die Ereignisse in Chemnitz haben auch die Wirtschaft alarmiert. Wie groß ist die Sorge um das Image des Wirtschaftsstandortes Deutschland?

Wir sind besorgt. Die Bilder von Aufmärschen und rechtsextremen Tabubrüchen in Chemnitz, die um die Welt gehen, schaden dem Ansehen Deutschlands und dem Wirtschaftsstandort. So etwas können und werden wir nicht akzeptieren. Das müssen wir im Keim ersticken. Gut, dass Veranstaltungen wie das Konzert unter dem Motto „Wir sind mehr“ mit 65 000 Besuchern zeigen, dass Deutschland ein tolerantes und offenes Land ist, in dem wir Vielfalt fördern und nicht ablehnen. Eine Minderheit von Nationalisten und politisch anders Denkenden hat es immer gegeben. Aber wir dürfen es nicht zulassen, dass die unsere Gesellschaftsordnung, unsere Flüchtlings- und Europapolitik bestimmen. Natürlich brauchen wir die politische Auseinandersetzung. Aber nur Dagegen-zu-sein, wie es die AfD propagiert, ist keine Lösung für die wichtigen anstehenden Fragen und Probleme. Das konterkariert nur den Zusammenhalt der Gesellschaft in unserem Land.

 

Thema Diesel-Skandal: Noch immer keine Entscheidung über die Hardware-Umrüstung von Dieselfahrzeugen. Was fordern die Handwerksbetriebe?

Es bleibt dabei: Es kann nicht sein, dass Handwerksbetriebe und Bürger für die Fehler von Politik und Autokonzernen bezahlen sollen. Millionen Handwerker haben im guten Glauben Dieselfahrzeuge gekauft, die sie täglich brauchen. Jetzt drohen Fahrverbote. Die Autokonzerne müssen die Kosten für die Hardware-Umrüstung übernehmen und dafür sorgen, dass die Fahrzeuge nicht aus dem Verkehr gezogen werden.

Das Interview führte Andreas Herholz. Es ist am 5. September 2018 in der Passauer Neuen Presse erschienen.